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In jordanischen Lagern droht der Kollaps. Die UN fürchtet, die Flüchtlinge bald nicht mehr ausreichend mit Wasser und Energie versorgen zu können.

© REUTERS

Syrien: Sie verlassen ihr Land

Der Bürgerkrieg tobt. Schon gibt es eine Million heimatlose Syrer – das überfordert das UN-Flüchtlingshilfswerk und die Aufnahmestaaten. Auch immer mehr Christen sitzen auf gepackten Koffern.

Der Bürgerkrieg in Syrien zwingt immer mehr Menschen in die Flucht. Zwei Jahre nach Ausbruch der Gewalt hat die Zahl der syrischen Flüchtlinge im Ausland nach UN-Angaben eine Million Menschen erreicht. Der Hochkommissar für Flüchtlinge der Vereinten Nationen, António Guterres, erklärte am Mittwoch in Genf, täglich brächten sich tausende Syrer in den Nachbarländern in Sicherheit. „Sie kommen an, sind traumatisiert, ohne Hab und Gut und haben Familienmitglieder verloren“, sagte er. „Die Tragödie muss gestoppt werden.“

Rund die Hälfte der Flüchtlinge seien Kinder, die meisten von ihnen noch keine elf Jahre alt. Der Libanon, die Türkei, Jordanien und der Irak beherbergten die meisten Syrer. Doch die Aufnahmeländer könnten den Ansturm kaum noch bewältigen. Die Einwohnerzahl des Libanon etwa sei durch die Flüchtlinge um gut zehn Prozent gestiegen. In Jordanien drohe der öffentlichen Versorgung mit Energie und Wasser der Kollaps. Auch innerhalb Syriens befinden sich Guterres zufolge Millionen auf der Flucht. Die internationalen Hilfsorganisationen hätten kaum noch Geld, Lebensmittel, Zelte und andere humanitäre Güter für die notleidenden Menschen innerhalb und außerhalb Syriens, unterstrich der frühere Premierminister Portugals.

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon hatte vor wenigen Tagen die internationale Gemeinschaft gemahnt, die versprochenen Gelder für die Syrien-Hilfe tatsächlich bereitzustellen. Auf einer Geberkonferenz in Kuwait Ende Januar hatten mehr als 40 Staaten rund 1,5 Milliarden US-Dollar versprochen. Bis Anfang dieser Woche aber erhielten die UN erste wenige hundert Millionen Dollar von den Staaten.

Die UN prognostizierten noch im Dezember 2012, dass die Zahl der Syrien- Flüchtlinge in den Nachbarländern bis Ende Juni 2013 rund 1,1 Millionen erreichen werde. Flüchtlingskommissar Guterres sagte jetzt, diese Schätzung müsse angesichts des massiven Zustroms revidiert werden. Syriens Präsident Baschar al Assad versucht, einen im März 2011 ausgebrochenen Volksaufstand mit Waffengewalt zu ersticken. Bei den Kämpfen zwischen den Assad-Truppen und der bewaffneten Opposition kamen nach UN-Schätzungen bisher weit mehr als 70 000 Menschen ums Leben.

Vor dem Hintergrund der steigenden Flüchtlingszahlen hat Oppositionschef Moaz Alkhatib den Christen in dem Bürgerkriegsland versichert, dass ihrer Glaubensgemeinschaft bei einem Sturz des Assad-Regimes keine Gefahr drohe. Im Interview mit der türkischen Zeitung „Milliyet“ rief Alkhatib die syrischen Christen am Mittwoch auf, im Land zu bleiben. Er gab aber zu, dass die Christen Angst vor Extremisten hätten. Die Sorge um das Schicksal der Minderheiten in Syrien und die Bedenken angesichts des wachsenden Einflusses islamischer Extremisten unter den Rebellen halten viele westliche Staaten von einer aktiveren Unterstützung der Gegner Assads ab. Wohl auch deshalb bemüht sich Alkhatib jetzt stärker als bisher um die rund 2,5 Millionen Christen im Land. In den vergangenen Tagen hatte er die von den Rebellen weitgehend eroberte nordsyrische Stadt Aleppo besucht, ein Zentrum christlichen Lebens in Syrien.

Alkhatib betonte, die politische Führung der Opposition habe den Rebellenkommandeuren in Syrien Vergeltungsaktionen gegen Minderheiten verboten. Das gelte auch für die Alevis, Mitglieder einer mit dem schiitischen Islam verwandten Glaubensrichtung, der Assad und ein Großteil der syrischen Elite angehören. Die Bevölkerungsmehrheit in Syrien besteht aus sunnitischen Muslimen. Es gebe keinen Konfessionskrieg in Syrien, versicherte Alkhatib. An die Christen gerichtet, sagte er: „Geht nicht, bleibt bei uns.“

In den vergangenen Monaten sind hunderte Christen in die benachbarte Türkei geflohen, wo sie in Klöstern und Familien Unterschlupf gefunden haben. In umkämpften Gebieten Nordsyriens sitzen zehntausende Christen auf gepackten Koffern. Aus türkischen Regierungskreisen verlautete, es gebe Vorüberlegungen zur Errichtung eigener Flüchtlingslager für Christen. Die Camps sollten auch den „religiösen Bedürfnisse“ der Flüchtlingen gerecht werden. In der Türkei sind rund 185 000 syrische Flüchtlinge in Lagern untergebracht, von denen die meisten über eigene Schulen und Moscheen verfügen.

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